Reisebericht von Thomas Müller

Was macht man, wenn man seit 10 Jahren von einer Reise in die Karibik träumt und sich dann plötzlich die Gelegenheit ergibt, einen längeren Urlaub zu nehmen? Man besorgt sich Reiseführer, um zu schauen, wohin es denn gehen soll. Jamaika – na klar, das ist Ska, Reggae, Rude Boys und natürlich jede Menge Karibik-Träume. Da will ich hin, das wusste ich schon vorher. Und die Dominikanische Republik scheint sich ganz gut für den Einstieg ins Karibik-Abenteuer zu eignen. Kuba wäre auch noch interessant, aber das wird zu viel auf einmal. Also planen, vorbereiten und dann geht es los im Flugzeug nach Santo Domingo. Ankommen, aussteigen und hinein in den ewigen Sommer, in das Neue, Unbekannte!

Die 2 Wochen in der Dominikanischen Republik sind sehr schön und anregend, auch dieses Land fesselt mich, wie ich am Schluss der Reise feststelle, aber dieser erste Teil meiner Unternehmung gehört nicht in dieses Forum.

Nun bin ich also wieder auf dem Flughafen in Santo Domingo und warte auf den Flug nach Jamaika. Irgendwie ist nicht klar, wann es denn jetzt losgehen soll. Plötzlich sehe ich die Propeller-Maschine von Air Jamaica Express einrollen, mir kommen die Tränen vor Freude und Rührung. Im Flieger sind 30 Sitze und ein Ambiente, das mich an die Sechziger-Jahre erinnert. Nach Champagner und einem interessanten Zwischenstopp in Port-au-Prince/Haiti erfolgt der Landeanflug auf Kingston. Ich sehe das Meer, den Hafen, die Stadt und dahinter die Blue Mountains und bin beeindruckt

Flughafen Kingston, 4 Stunden Aufenthalt. So freundliches, ja herzliches Personal habe ich noch nie erlebt. Und auch vor dem Gebäude habe ich nur angenehme Eindrücke, niemand bedrängt mich oder führt Böses mit mir im Schilde. Am Imbiss-Laden bestelle ich mein erstes Red Stripe, aha, das trinkt man also aus der Flasche! Irgendwann dann, ich bin schon ganz müde, erfolgt der Weiterflug nach Montego Bay in einem Riesen-Jumbo. Kommt mir vor, wie mit dem Sattelschlepper zum Brezen-Kaufen fahren. Der Jumbo fliegt weiter nach London, ich steige in Mobay aus.

Es ist 23 Uhr. Lennie vom Irie Rest hat mir zugesagt, dass ich abgeholt werde, trotzdem die bange Frage, was ist, wenn angesichts der späten Stunde niemand da ist? Trotz der guten Erfahrung gerade eben in Kingston hat man ja so allerhand gelesen, was so vor den Flughafenausgängen abgeht und sicher sperren sie hinter mir das Gebäude zu. Aber es ist jemand da und zwar Lennie persönlich! Dafür nochmal einen dicken Dank an ihn! Nun die Fahrt durch die Nacht nach Treasure Beach – Billy’s Bay. Im Dunkel tauchen Verkehrsschilder auf mit der simplen Aufschrift „SLOW“ und Häuser, die trotz ihrer Einfachheit irgendwie englisch wirken. Und ausserdem sehen wir Straßenpartys mit Massen von Jugendlichen am Straßenrand. Nach 2 1/2 Stunden tapferer Fahrt über Jamaikas nächtliche Straßen hat mich Lennie sicher zu seinem Irie Rest transportiert. Noch schnell mit Red Stripe angestoßen, dann geht es aber endlich ins Bett.

Am Morgen sehe ich, dass Tina da ist, die das Irie Rest auch über dieses Forum gefunden hat. Ich habe mich schnell eingewöhnt, im Irie Rest und in Billy’s Bay ist es sehr schön und geruhsam. Paulines Küche ist stets eine Gaumenfreude und Lennie ist ein aufmerksamer Gastgeber. In den nächsten Tagen gibt es zusammen mit Tina Ausflüge zu den Sehenswürdigkeiten der näheren und weiteren Umgebung, die Lennie für uns durchführt:
- Gut River (Baden in einer Mineralwasserlagune, sehr zu empfehlen)
- Lovers Leap (atemberaubender Blick hinunter aufs Meer)
- Bootsfahrt auf dem Black River (wunderbare Landschaft, wäre mit Allan und seinem Boot sicher noch schöner gewesen, aber ich scheute die Fahrt entlang der Küste in der prallen Sonne)
- YS Falls (subtropische Wasserfälle mit Lagunen zum Baden, sehr schön und erfrischend)
- Bamboo Avenue (etwas merkwürdig)
- Accompong (atemberaubende Bergwelt und Flora bei den Maroons, aber große Abzocke)
- Negril (Strand wie im Jamaika-Klischee, muss man einmal gesehen haben)

Wenn man sich so privat fahren lässt, ist das nicht ganz billig, aber es ist sehr bequem und anschaulich, wenn man von einem kundigen Jamaikaner herumkutschiert wird. Nach den Ausflügen haben wir dann immer den obligatorischen Red Stripe Stopp am Kiosk, wo die armen Kinder wohnen. Und am Abend sind Leute aus dem Dorf bei uns auf der Terrasse. Am Ostermontag besuchen wir die große Party am Strand – Jamaika wie es leibt und lebt. So bekommt man direkte Einblicke in das Land und seine Bewohner. Und der nächtliche Sternenhimmel mit unbekannten Sternbildern im Süden ist für mich überwältigend.

Lennie ist ein Fan des frühen Reggae, was mir als eingefleischtem Ska-Fan natürlich sehr entgegenkommt. Er hat auch eine Kassette mit dem alten jamaikanischen Ska. Und die Gäste aus dem Dorf legen die Kassette ein (ohne mein Zutun, was mich sehr verblüfft) und staunen über meine Kenntnisse und meine Begeisterung. Für sie selber ist der Ska wohl eher ein Fossil der Großeltern. Nach einigen Tagen stellen sich bei mir trotz allem gewisse Gefühle des Abgeschnitten-Seins und Abhängig-Seins ein. Billy’s Bay ist schon sehr „remote“, ohne Lennie kommt man nicht einmal zum Wasser-Kaufen. Und man wird auch schön langsam zum Gesprächsgegenstand im Dorf so nach dem Motto „Was macht der eigentlich bei uns, wenn er keine Frauen aufreissen will?“

Dann kommt die Weiterreise. Lennie bringt mich auf einer langen Fahrt quer durchs Gebirge nach Runaway Bay zu Elke ins Erabo. Dort ist es nun wieder ganz anders, sehr schön und gepflegt, aber mehr auf Selbstversorgung ausgerichtet. Man kann sich allerdings normalerweise abends von der Haushälterin Dawn bekochen lassen und das soll ganz phantastisch sein. Da ich zu diesem Zeitpunkt der einzige Gast bin, klappt das aber leider nicht so ganz wie sonst. Elke ist mit Leib und Seele auf Jamaika sesshaft geworden und kennt sich mit dem Land und den Leuten bestens aus. Darüber hinaus ist sie sehr um das Wohl ihrer Gäste besorgt und für alle Fragen und Wünsche offen.

Leute vom Dorf sind sehr freundlich und grüßen mich auf der Straße. Wie ich während meiner paar Tage in Runaway Bay feststelle, ist dieser Ort recht zentral an der Nordküste gelegen und ein guter Ausgangspunkt für Ausflugsfahrten. Für wunderbar geruhsame Tage empfiehlt sich das nahegelegene Strandgelände. Trotz der Ferienressorts sind kaum Touristen im Ort unterwegs – sind die in ihren Anlagen eingesperrt?? Burrows, ein Nachbar, bringt mich zu den Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung:
- Dunn’s River Falls (sehr schöne Wasserfälle, aber zu viele Touristen und Abzocke)
- Ocho Rios (bunte Touristenstadt)
- Shaw Park Botanical Gardens und Coyaba River Garden (zwei wunderschöne subtropische botanische Gärten bei Ochi)
- Fern Gully (tiefromantische Farnschlucht)
- Runaway Caves (sehr beeindruckend, die erste Höhle meines Lebens).
Und auch Burrows ist ein Fan des alten Reggae und auch über den Ska kann ich mich gut mit ihm unterhalten.

Und dann kommt der Mega-Ausflug mit Elke. Sie bringt mich auf einer großen Tages-Tour in die Blue Mountains und nach Kingston. Nach einer Fahrt entlang der Nordküste, die Richtung Osten immer feuchter und immer tropischer bewachsen wird, erklimmen wir auf einer schmalen Straße den Kamm der Blue Mountains. Wir sehen schöne Berge und wunderbare Vegetation. Auf der anderen Seite der Passhöhe zeigt mir dann Elke den absoluten Traum: Wir kehren im Gap Café ein, einem alten Holzhaus im englischen Kolonialstil des frühen 20. Jahrhunderts. Wir sitzen auf der Terrasse und schlürfen Blue Mountain Coffee. Vor uns auf dem Hang-Vorsprung ein tropischer Garten mit Kolibris, im Mittelgrund die Vorberge und in der Ferne ganz unten die Stadt Kingston. Und dahinter das Meer. So etwas sieht man sonst höchstens in Fotokunst-Bänden. Und dann fahren wir hinunter. Uptown Kingston macht auf mich einen sehr amerikanischen Eindruck.

Wir fahren in so ein Drive-In Einkaufszentrum, da ich unbedingt in Derrick Harriott’s Plattenladen will in der Hoffnung, dort noch rare Jamaika Vinyl Singles mit den Maytals und Skatalites zu finden. Im Laden der Meister persönlich. Er versucht, sich zu tarnen, hat damit aber bei Elke keine Chance. Ich bin in so entscheidenden Momenten leider recht schüchtern. Nun bekomme ich in seinem Laden zwar keine raren Vinyls, die gibt es wohl nicht einmal mehr hier. Aber eine vom Meister persönlich signierte Scheibe schleppe ich ab und einen Händedruck dazu. Derrick Harriott ist einer der alten Pioniere des Jamaikanischen Ska, der auch heute noch vor dem interessierten Publikum in Europa auftritt.

Weiter geht’s nach Downtown Kingston – King Street, Ward Theatre, Hafen – und auch vorbei an Trench Town und anderen Ghettos. Hinein muss ich da wirklich nicht. Da bleibe ich lieber dabei, mich bei Ska-Konzerten in Deutschland den romantischen Träumen von den Rude Boys hinzugeben, so wie sie von unseren zeitgenössischen Ska-Bands gepflegt werden. Abgesehen von den Ghettos macht Downtown auf mich einen Eindruck wie das Zentrum von Ostberlin kurz nach der Wende – neben vielen Brachflächen ist zwar auch was da, aber eigentlich sollte es das Zentrum sein und das ist einfach nicht ausgefüllt. Weiter fahren wir dann nach Spanish Town und zurück nach Runaway Bay. Ein erfüllter Tag liegt hinter mir und ich finde es einfach wichtig, die Hauptstadt wenigstens kurz gesehen zu haben und mit den alten Orten des Ska einmal „in touch“ gekommen zu sein.

Am nächsten Tag fährt Elke mit mir schon wieder nach Kingston, diesmal zum Flughafen. Abschied. Und wieder die Propellermaschine von Air Jamaica Express, Zwischenlandung in Port-au-Prince, dann nochmal 2 Tage Aufenthalt in Santo Domingo, bevor es zurück in die Heimat geht. Das Wetter in Deuschland ist mir wohlgesonnen, 30 Grad Anfang Mai, aber gegen das Heimweh nach der Karibik hilft es auch nicht viel.

Die 2 Wochen Jamaika haben mir sehr gut gefallen, ich möchte unbedingt wieder hin. Der ewige Sommer, die freundlichen Leute, die Landschaften, die Musik, das Feeling. Aber auch die Dominikanische Republik hat mich gefesselt, wenn auch auf andere Weise. Ya Man!

Die Verknüpfung der beiden Länder erwies sich vor Ort allerdings als organisatorisch recht kompliziert und es gab auch nur die sehr teuren Air Jamaica Express Flüge.

An dieser Stelle möchte ich mich bedanken bei Thomas, dem Webmaster, für diese ausgezeichnete Seite, durch die ich meine Reise erst so richtig auf die Reihe gebracht habe, den Gastgebern auf Jamaika für ihre Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft und allen im Web, die mir auf meine Fragen geantwortet und weitergeholfen haben.

respect
Thomas Müller

zur Übersicht